„Der Sozialstaat besteht nicht nur aus Nehmen, sondern auch aus Geben, anders kann er nicht funktionieren.“ So zu lesen Ende 2022 in einer renommierten österreichischen Tageszeitung. Der Zusammenhang: Es gibt Menschen, die seit langer Zeit Notstandshilfe beziehen und nicht „arbeiten“. Ja, es werden auch jene genannt, die nicht im Bezug des AMS und einfach daheim sind, also auch nicht „arbeiten“ wollen. Dabei wird nicht gefragt, warum jemand nicht in Erwerbsarbeit ist. Es scheint selbstverständlich zu sein, dass wer kann, dies auch tut. Dabei dürfen jene, die Steuern zahlen, denen, die Unterstützung bekommen, sagen was sie zu tun hätten. So werden Leute gegeneinander ausgespielt: „Die bekommen was fürs
Nichtstun und ich muss mich abschuften!“ Die Verantwortung anderen gegenüber bekommt dieser Art breite Risse.
Dabei passiert zweierlei: Niemand, wer nicht selbst mal betroffen war, kann sich vorstellen, was Arbeitslosigkeit bedeutet. Das beginnt mit der Stigmatisierung und dem Gefühl nicht mehr dazuzugehören, ausgeschlossen zu sein und damit auch der Schuldzuweisung. „Du allein bist
dafür verantwortlich keinen Job zu haben.“ Andererseits, wie sehr aber Mitarbeiter:innen in Betrieben „entsorgt“ werden, weil sie zu alt, zu langsam, krank, weiblich oder als nicht geeignet empfunden werden, das wird kaum betrachtet. Gleichzeitig bedeutet Arbeitslosigkeit ungeheuren Stress: Das zur Verfügung stehende Geld ist mit einem Schlag nur mehr etwas mehr als die Hälfte des erwerbsmäßigen Bezugs. Frauen, die in Teilzeit gearbeitet haben,
geraten damit in die Armutsfalle. Damit bis Monatsende auszukommen, zu hoffen, dass nichts kaputt geht, keine größere Investition ansteht, Kindern alles Notwendige für Schule und Freizeit zur Verfügung steht, Rückzahlungen, wenn noch ein Kredit läuft. Es ist eine immense
Herausforderung. Für arbeitslose alleinerziehende Frauen ist die Lebenssituation äußerst prekär. Dazu kommt der Druck, bei Betrieben vorstellig zu werden und dies beim nächsten Termin im Arbeitsmarktservice nachweisen, um ja nicht aus dem Bezug zu fallen. Trotzdem passiert dies relativ häufig, denn die Kriterien der Zumutbarkeit – das betrifft vor allem Distanz zum Arbeitsplatz und Arbeitszeit – steigen ständig. Gerade für Alleinerzieherin ist aber die Nähe zum Wohnort und Kinderbetreuungsplatz wichtig, damit sie ihren Alltag ohne familiäres Unterstützungsnetz gut meistern können. Dann fällt möglicherweise die Möglichkeit der
Sozialhilfe weg, denn diese setzt Arbeitswilligkeit voraus. Wer glaubt, dass mit Druck Menschen dann schneller zu einem Arbeitsplatz kommen, irrt. Denn in solchen Situationen gilt es zu überleben und das ist kräfteraubend. Not wendend wäre echte Hilfe! Aber davon sind wir weit entfernt. Noch immer gilt: Unternehmer:innen stellen Arbeitsplätze zur Verfügung und
Menschen sollen sich in Dankbarkeit den Bedingungen anpassen. Hilfe wird nur jenen gegeben, die sie „verdienen“. Aber was ist mit den anderen? Muss jemand sich zuerst „verdient“ gemacht haben, bevor sie oder er um Hilfe bitten darf? Und selbst wenn der Grund für die Arbeitslosigkeit persönliches Scheitern ist, wir haben dafür kein Verständnis und keine Erzählung. Isolde Charim macht darauf aufmerksam, dass wir kein Wissen und keine
Erfahrung haben, wie damit umgegangen werden kann. Und wir bauen dieser Art Strukturen ab, wo Menschen mit ihrem Scheitern aufgefangen werden können. Scheitern wird zum individuellen Problem, eben zum Versagen, zu Schuld! Denn in unserem Wirtschaftssystem ist
Erwerbsarbeit das Maß aller Dinge. Mitunter scheinen die Tätigkeiten des Menschen nur dazu da, um den Produktionsablauf, den großteils Maschinen verrichten, am Laufen zu halten. Das Bildungssystem zielt darauf ab eine Berufsausbildung und möglichst auch einen Job zu haben. Wer dies nicht schafft, ist im Verdacht versagt zu haben. Was Leben bedeutet oder
bedeuten kann, wird in den Hintergrund gedrängt. Erwerbsarbeit ist wichtig, aber nicht das einzige im Leben. Dabei kann und darf niemand jemand anderen vorschreiben, was gutes Leben bedeutet.
Der Philosoph Byung-Chul Han beschreibt, wie im neoliberalen System menschliche Strukturen abgebaut werden, das Bindende und Verbindliche fallen, Angst und Unsicherheit zunehmen. So entsteht Vereinzelung, gleichzeitig Konkurrenz und Entsolidarisierung. Der Trugschluss dabei ist die Annahme, dass Angst die Produktivität erhöht. Im Fall von Arbeitslosigkeit heißt das: „Kürzen wir den Leuten den Bezug, dann werden sie schon
arbeiten!“ Ansätze dafür gibt es in den politischen Diskussionen genug. Statt Armut zu verhindern und endlich das Arbeitslosengeld zu erhöhen, steht die Regression zur Debatte, also mit Dauer den Bezug zu verringern. Dadurch rutschen Menschen in die Armut und mit Existenzängsten ist es nochmals deutlich belastender sich neu zu orientieren und selbstbewusst auf Stellen zu bewerben. Die Menschen, die hinter der Diskussion stehen, werden nicht gesehen. Die oder der Andere manifestiert sich durch Blick und Stimme, aber
wie, wenn wir den Betroffenen nicht begegnen. Sie nehmen sich selbst vorsichtshalber aus der Öffentlichkeit. Wer wird schon gerne gefragt, was sie oder er denn arbeiten, wenn kein Arbeitsplatz da ist. Denn die Antwort: „Dann darfst halt nicht so anspruchsvoll sein.“ Folgt auf dem Fuß. Das macht die Betroffenen stimm- und blicklos, es wird ihnen dieserart die Aufmerksamkeit entzogen. Daher sollten wir jene, die ohnehin benachteiligt sind, nicht gängeln und zu Dingen zwingen,
die sie nicht machen können oder wollen. Vielmehr geht es darum sie zu motivieren sich zu entwickeln und neu auszurichten. Und es geht darum, dass auch Betriebe Menschen eine Chance geben und zum Beispiel Arbeitszeiten so einteilen, dass Job und Kinderbetreuung für Alleinerzieherinnen vereinbar sind und sie im Berufsleben wieder Fuß fassen können. Es ist die Pflicht einer Gesellschaft für bessere Rahmenbedingungen zu sorgen. Für den Schriftsteller Dimitré Dinev ist das Gesicht des Anderen eine Frage. In seiner Erscheinung kommt alles zusammen: Botschaft, Ruf, Vorwurf, Ohnmacht, Hilflosigkeit, … Es stellt uns
unausweichlich die Frage nach unserer Verantwortung. Eine mögliche Antwort ist für ihn Barmherzigkeit, Barmherzigkeit als ein Akt des Dialogs. Und das geht weit über Solidarität hinaus. Denn Barmherzigkeit hat keine Gerechtigkeit und Objektivität, kann aber verschwenderisch sein. Sie stellt jedoch die Frage, wie gerecht eine Gesellschaft ist. Und sie stellt die Frage nach unserem Tun, jeder und jedem von uns! Möge Barmherzigkeit eine
Ermutigung sein, wie etwa im Beispiel vom barmherzigen Samariter.
-----------------------------------
Downloadbar und weitere Predigtgedanken:
www.arbeitslosenstiftung.at / Unsere Aktivitäten / Gottesdienstvorschläge zu Arbeitslosigkeit